Die Debatte über Tempo 130 auf deutschen Autobahnen hat vielleicht überdeckt, dass noch andere Veränderungen der StVO im Bundesrat anstanden. Berichte für die Öffentlichkeit wurden mit dem Stichwort „fahrradfreundliche StVO“ verknüpft und lenken damit ebenfalls davon ab, an welcher Stelle die eigentliche Brisanz der Reform liegt:
Für PKW-Fahrer wird bei Geschwindigkeitsüberschreitungen in bisherigem Maß zukünftig ein Fahrverbot die Regel und nicht mehr die Ausnahme sein. Damit dürfte auch das Erreichen der Punktegrenze für die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde deutlich schneller und häufiger eintreten. Worum geht es?
- Punkte für Geschwindigkeitsverstöße soll es schon ab 16 km/h Überschreitung geben (bisher für PKW-Fahrer erst ab 21 km/h).
- Fahrverbot wird die Regel bei Überschreitungen ab 21 km/h innerorts oder 26 km/h außerorts. Bislang drohte Fahrverbot erst ab 31 km/h Überschreitung innerorts oder 41 km/h außerorts.
- Der Bereich bis 20 km/h ist aktuell noch als Verwarnungsgeldfall eingestuft und hat keine Punkteeintragung zur Folge.
Deshalb spielten in der anwaltlichen Praxis Verwarnungsgelder wegen der fehlenden Punktebedrohung keine große Rolle; von Einsprüchen gegen solche Bußgeldbescheide rät man aus Verhältnismäßigkeitsgründen eher ab. Das wird sich ändern, denn Punkte und Fahrverbot gibt es nun früher, was von den meisten Verkehrsteilnehmern als Bedrohung empfunden wird.
Die Änderungen im Bußgeldkatalog bedeuten, dass nahezu 95 % derjenigen, die bislang nur mit einem verhältnismäßig kleinen Bußgeld und mit der Eintragung eines Punktes in Flensburg zu rechnen hatten, bei ansonsten gleicher Ausgangslage ein Fahrverbot zu erwarten hätten. Eine Anwendung der neuen Regeln auf die im Jahr 2018 in Sachsen eingetragenen Geschwindigkeitsverstöße (Statistik des Kraftfahrtbundesamtes) führt zu einem dramatischen Ergebnis.
Beispiel Sachsen: In Sachsen gab es 93.360 eingetragene Geschwindigkeitsverstöße. In vielleicht 10.000 dieser Fälle sind Fahrverbote verhängt worden. In Flensburg sind 16.576 Fahrverbote eingetragen, die aber auch für Abstands- und Rotlichtverstöße oder kleinere Alkoholsachen (0,5-Promille-Regelung) und für bestimmte Straftaten verhängt worden sind. Weil nach dem neuen Katalog nur noch die Überschreitungen außerhalb geschlossener Ortschaften um bis zu 25 km/h ohne Fahrverbot bleiben und der Anteil dieser Zuwiderhandlungen nur gering sein dürfte, hätte man bei Anwendung der neuen Regeln im Jahr 2018 etwa 50.000 bis 70.000 mehr Fahrverbote gehabt.
Fazit: Weil Fahrverbote nur bei besonders schwerwiegenden Ordnungswidrigkeiten gerechtfertigt sind, wird man zukünftig konsequenterweise auch die Einstufung dieser neuen Fälle in das Punktsystem überdenken und dafür sicher zwei Punkte statt bisher einem vergeben. Die Folge wird ein Anstieg der Fahrerlaubnisentziehungen durch die Fahrerlaubnisbehörde nach dem Mehrfachtäter-Punktesystem sein. Es bedarf wohl keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass Anwälte, Gerichte und Verwaltung nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen ordentlich zu tun bekommen.
Das Inkrafttreten der neuen StVO-Regelungen ist nur noch von der Veröffentlichung durch das Verkehrsministerium abhängig.